Vermutung der Ursächlichkeit für Anlageentscheidung
Der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung zur Haftung für fehlerhafte Kapitalanlagenprospekte durch Urteil vom 02.03.2009 (II ZR 266/07) weiter ausgeformt. Konkret ging es um die Frage, ob eine tatsächliche Vermutung besteht, dass eine fehlerhafte Prospektangabe für den Beitritt des Kapitalanlegers zu einer Kapitalanlagegesellschaft ursächlich war. Der Bundesgerichtshof äußert sich auch zu der Frage, wie eine solche Vermutung erschüttert werden könnte.
Das Beweisrecht der Zivilprozessordnung (ZPO) ist mindestens ebenso wichtig wie die Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt überhaupt die vom Anleger begehrten Rechte begründen kann. Eine Vielzahl von Anlegerklagen scheitern daran, dass zum Beispiel eine fehlerhafte Kapitalanlageberatung nicht bewiesen werden kann (Die Beweislast liegt hier voll beim Kläger), oder aber der falsche Beklagte „erwischt“ wird (die Beweislast liegt hier meist auch beim Anleger), die Höhe des Schadens oder der Steuervorteile nicht dargestellt werden kann (Beweislast liegt auch hier zunächst beim Anleger). Ein häufiger Streitpunkt ist die so genannte Kausalität der Falschberatung für den später eingetretenen Schaden. Auf den ersten Blick erscheint die Sache einfach: Eine fehlerhafte Aufklärung über die mit der Kapitalanlage verbundenen Risiken und Chancen muss dazu geführt haben, dass die Kapitalanlageentscheidung abgegeben wurde und so zu einem Schaden geführt hat.
Kapitalanlagegesellschaften und Vertriebe behaupten nun stets, die Risiken seien dem Anleger bekannt gewesen. Er hätte auch unterschrieben, wenn er die Risiken gekannt hätte. Oder er sei vollkommen ignorant: Die Risiken seien ihm schlichtweg egal gewesen. Oder aber, im Falle der Insolvenz der Kapitalanlagegesellschaft, die verschiedenen Risiken hätten überhaupt nicht zu der später konkret eingetretenen Insolvenz geführt. In diesem Rahmen hatte die Rechtsprechung bereits seit langem dem Anleger unter die Arme gegriffen: Im Falle einer fehlerhaften Prospektangabe bestehe eine so genannte tatsächliche Vermutung dafür, dass die fehlerhafte Prospektangabe für den Beitritt des Anlegers wesentlich sei. Ebenso geklärt ist, dass die fehlerhafte Prospektangabe später nicht dazu führen musste, dass die Kapitalanlagegesellschaft aus genau diesem Grunde Pleite gegangen ist. Entscheiden ist vielmehr, dass durch die fehlerhafte Angabe in die Meinungsbildungsfreiheit des Anlegers eingegriffen wurde und er sich kein ausreichend korrektes Bild mehr über die Risiken der Kapitalanlage machen konnte. Ob das Risiko sich nie verwirklicht hatte, war demgemäß egal.
Eine tatsächliche Vermutung ist für denjenigen, zu dessen Gunsten sie eingreift, eine komfortable Sache. Der Anleger muss dann zunächst nicht mehr beweisen, dass er wirklich auf die konkrete Falschangabe vertraut hat. Es wird einfach vermutet, dass er es getan hat und genau aus diesem Grunde die Kapitalanlage abgeschlossen hat. Es obliegt dann dem Berater, diese Vermutung zu erschüttern und so den Anleger dann doch wieder in die Beweislast zu zwingen. Allerdings haben Gerichte in letzter Zeit mehrfach darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für die so genannte tatsächliche Vermutung der Prospektursächlichkeit auch an Voraussetzungen geknüpft sind. So soll die tatsächliche Vermutung der Ursächlichkeit nicht eingreifen, wenn aufgrund der Falschangabe im Prospekt nicht nur eine einzige Handlungsalternative (Beitritt zur Gesellschaft) bestanden hätte, sondern der Anleger mehrere Handlungsalternativen gehabt hätte. Denn wenn es mehrere Möglichkeiten aufklärungspflichtigen Verhaltens gäbe, sei ein einzelner Aufklärungsfehler nicht mehr ursächlich für den späteren Anlageentschluss.
Der BGH hat nun in der erwähnten Entscheidung bestätigt, dass das Bestehen mehrer Handlungsvarianten gerade nicht geeignet ist, die auf der Lebenserfahrung beruhende tatsächliche Vermutung zu entkräften. Denn diese Annahme beruhe gerade auf einem Denkfehler: Wenn aufgrund einer Falschangabe mehrere Handlungsalternativen zur Verfügung stünden, seien auf diese mehreren Varianten gerade auf den einen Prospektfehler zurückzuführen. Demgemäß wird es für den Anleger in Zukunft leichter sein, die Ursächlichkeit des Prospektfehlers für seine Kapitalanlageentscheidung gerichtlich anerkannt zu bekommen.