Kaum eine Neuerung der BGB-Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 hat so gravierende
Auswirkungen auf die Prozesse geschädigter Anleger des „Grauen Kapitalmarktes“ gegen Anlageberater und Anbieter windiger Kapitalanlagen gehabt wie die Regelungen zur Verjährung. Verjährte Schadensersatzforderungen lassen sich nicht durchsetzen, so dass die Frage der Verjährung für viele Prozesse zentral ist. Zwar hat der Bundesgerichtshof (BGH) bereits mehrfach grundsätzlich zu Gunsten der Anleger entschieden, einige Fragen sind aber noch nicht geklärt.
Vor dem 01.01.2002 war die Verjährungsfrage häufig unproblematisch: die meisten Ansprüche von Kapitalanlageopfern entsprangen schlecht erfüllten Auskunfts- oder Beratungsverträgen und verjährten in der allgemeinen Verjährungsfrist von 30 Jahren ab dem Tag der Falschberatung. Kenntnis von dem Schadensersatzanspruch war nicht nötig. Die Reformgesetzgebung setzte diese Frist allerdings auf nur drei Jahre herab, gerechnet ab dem Ende des Jahres, in dem der Geschädigte Kenntnis von dem Schadensersatzanspruch erhält. Streitig war zunächst, wie es sich mit Altansprüchen verhält, also solchen, die vor dem 01.01.2002 entstanden sind und die erst nach dem 01.01.2002 verjähren würde. Denn die Überleitungsvorschriften für diese Ansprüche war sprachlich derart ambivalent, dass insbesondere die Seite der Kapitalanlagevermittler behauptete, Altansprüchen würden drei Jahre nach Gesetzesänderung, also am 31.12.2004, kenntnisunabhängig verjähren. Diese Ansicht wurde vom BGH allerdings verworfen (Urteil vom 23.01.2006 – XI ZR 44/06). Damit kommt es auch für Überleitungsgläubiger, wie für alle Gläubiger von Beratungsfehlern ab dem 01.01.2002, auf das Vorliegen der Kenntnis (grob fahrlässige Unkenntnis steht Kenntnis dabei gleich) von dem Schadensersatzanspruch an. Aber wann liegt diese vor?
Genau genommen muß der Gläubiger nach der Rechtsprechung nicht einmal wissen, dass er einen Schadensersatzanspruch gegen einen anderen hat. Er muß nur die dem Anspruch zu Grunde liegenden Tatsachen kennen. Ob er diese rechtlich richtig würdigt und einschätzen kann, ist für den Verjährungsbeginn egal. Egal ist auch, ob schon ein Schaden eingetreten ist. Wichtig ist nur, ab wann derart viel Tatsachen bekannt sind, das eine Klage mit hinreichender Erfolgsaussicht eingereicht werden könnte. Nur dann, wenn die Rechtslage derartig verworren und ungeklärt ist, das eine Klage unzumutbar riskant erscheint, wird dem Anleger ein Fristlauf ab Klärung der Rechtslage zugestanden (vgl. BGH Urteil XI ZR 262/07 vom 23.09.2008). Im Ergebnis bedeutet dies, das viele geschädigte Kapitalanleger sich mit der Klageerhebung, die die Verjährung beendet, beeilen müssen.
In vielen Klageverfahren wird aktuell zur Verjährungsfrage von Kapitalanlagevermittlern und Anbietern der Standpunkt vertreten, die Verjährung beginne am Ende des Jahres, in dem dem Anleger ein ordnungsgemäßer Prospekt übergeben wurde. Denn der Prospekt enthalte eine ordnungsgemäße und vollständige Aufklärung über die Risiken und Nachteile de Kapitalanlage. Wenn der Anleger diesen gelesen habe, habe er Kenntnis von diesen Risiken. Habe er den Prospekt zwar erhalten, aber nicht gelesen, habe er grob fahrlässige Unkenntnis. Habe er den Prospekt nicht erhalten (was häufig geschieht), den Erhalt aber auf dem Zeichnungsschein quittiert (was nahezu immer geschieht), sei er erst recht grob fahrlässig.
Diese Argumentation ist ebenso perfide wie erfolgreich. Denn der BGH hat zwar entschieden, das ein ordnungsgemäßer, mit Risikohinweisen versehener Prospekt kein Freibrief für eine fehlerhafte, Risiken aussparende Beratung ist (Urteil III ZR 83/06 vom 12.07.2007). Er hat ebenso entschieden, das den Anleger, der sich auf die Auskünfte des Beraters verlässt, bei entgegenstehenden Prospektangaben kein anspruchsminderndes Mitverschulden nach dem Motto „selber schuld“ trifft – das ist mit dem Grundgedanken der Beraterhaftung, nämlich dem enttäuschten Vertrauen in die Expertise des Beraters, nicht zu vereinbaren. Und nun kommt quasi durch die Hintertür der Verjährung dann doch wieder der Freibrief der Berater, vom Prospektinhalt vollkommen abweichende Erklärungen abgeben zu dürfen. Einige Oberlandesgerichte haben bereits in diese Richtung entschieden, besonders das OLG München (Beschl. vom 29.03.2007 – 24 U 660/06).
Hiergegen bestehen allerdings einige Bedenken. „Grob fahrlässig“ handelt gemeinhin nur derjenige, der die gebotene Sorgfalt in einem besonders schweren Maße außer Acht lässt. Ist es aber bei einer Kapitalanlageberatung überhaupt geboten, den Prospekt auf Widersprüche zwischen den Erklärungen des Vermittlers und den Risikohinweisen zu überprüfen? Lässt sich bei einem Beratungsvertrag, der ja den Berater letztlich deswegen in die Haftung nimmt, weil dieser behauptet, besondere Fachkunde zu haben, auf die der Anleger vertrauen dürfe, gerade dieses Vertrauen des Anlegers als besonders schwere Pflichtverletzung ansehen? Ist damit das Vertrauen in die ordnungsgemäße Vertragserfüllung des Beraters eine besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung?
Diese Konsequenzen gehen einige Gerichte nicht mit. So hat ein anderer Senat des OLG München es abgelehnt, dem Anleger den Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu machen, weil er den Prospekt nicht gelesen hat (Urteil vom 06.09.2006 -20 U 2694/07, explizit bestätigt vom BGH III ZR 229/06 –
15. März 2007).
Und auch das LG Zwickau hat aktuell (Urteil vom 28.08.2008 -3 O 689/07) keine Verjährung angenommen, wenn der Prospekt bereits vor vielen überreicht wurde. Grund: das Vertrauen der geprellten Anleger in die (sich später als falsch darstellenden) Aussagen des Vermittlers als Fachmann verdienen besonderen Schutz mit der Folge, dass die Anleger auf die Auskunft vertrauen dürfen und nicht verpflichtet waren, diese anhand des Prospektes zu überprüfen.