BGH lässt sog. fehlerhafte Gesellschaft überprüfen
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat durch Beschluß vom 05.05.2008 (II ZR 292/06) dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die im deutschen Recht seit Jahrzehnten anerkannte sog. Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft mit den europarechtlichen Vorgaben des Verbraucherschutzes vereinbar ist. Diese Vorlagefrage hat erhebliche Auswirkungen auf die Anleger geschlossener Investitionsfonds und auf die Fonds selber.
Ein Anleger, der sich bezüglich einer Beteiligung an einem geschlossenen, also in Form einer stillen Gesellschaft, offenen Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft organisierten, Investitionsfonds schon einmal an einen spezialisierten Anwalt gewandt hat, kennt die ernüchternde Auskunft des Advokaten: ganz gleich, ob der Anleger von dem Vertriebsmitarbeiter des Fonds oder durch den Emissionsprospekt arglistig getäuscht wurde oder den Fonds infolge eines Haustürgeschäftes widerrufen könnte, der Anleger kann niemals sein Geld in voller Höhe von dem geschlossenen Fonds selbst zurück verlangen. Er ist infolge der von der Rechtsprechung zum Schutze der außenstehenden Gesellschaftsgläubiger entwickelten „Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft“ dagegen gezwungen, die Beteiligung für die Dauer Ihres Vollzuges als rechtmäßig bestehend anzuerkennen und kann erst für die Zukunft (Juristendeutsch: ex nunc) die Beteiligung durch außerordentliche Kündigung beenden. Nach dieser Kündigung darf der Fonds dann nach den Regeln des Gesellschaftsvertrages dann den Wert der Beteiligung errechnen (sog. Auseinandersetzungswert) und muß nur diesen Wert herausgeben. Dieser ist allerdings fast immer niedriger als die Einzahlungen, in Extremfällen sogar negativ, so dass Nachzahlungen drohen.
Bei fast allen anderen Verträgen, z.B. Kaufverträgen, wirken eine mögliche Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder ein Widerruf dagegen auch für die Vergangenheit (ex tunc), so dass alle Leistungen komplett rückabzuwickeln sind.
Ausnahmen von dieser, ständig bestätigten Regel ließ der BGH nur im Bereich stiller Beteiligungen und auch dort nur bei Fällen arglistiger Täuschung oder fehlerhafter Aufklärung zu – dort hatte bis 2004 insbesondere die Göttinger Gruppe um die Pleitefirma Securenta AG ungezählte Prozesse auf Rückzahlung mit der Berufung auf die fehlerhafte Gesellschaft gewonnen und durfte das Anlegergeld auch bei eklatantesten Beratungsfehlern behalten. Seit 2004 ließ der BGH jedoch die Rückzahlungen hier zu, die Folge ist bekannt: die Securenta AG ging 2007 mit einem Schaden für die Anleger von 900 Mio. Euro in die Insolvenz.
Für den Bereich des Haustürwiderrufes, also von Verträgen, die in Privatwohnungen oder am Arbeitsplatz abgeschlossen wurde, hatte der BGH die fehlerhafte Gesellschaft auch für anwendbar erklärt, obwohl die europarechtliche Vorgabe dem Verbraucher bei einem Widerruf ausnahmslos das Recht zugestand, die an die Gegenseite geleisteten Geldbeträge voll zurück zu fordern. Dieses Recht wird aber bei dem Verweis auf einen möglicherweise niedrigeren oder negativen Auseinandersetzungswert geschmälert, was bei dem BGH nun Zweifel geschürt hat, ob die Anwendung der fehlerhaften Gesellschaft europarechtskonform ist.
„Die Vorlageentscheidung ist zu begrüßen, da sich nur ganz wenige couragierte Instanzgerichte gegen die herrschende Lehre zu stellen gewagt hatten,“ so der Berliner Rechtsanwalt Christian-H. Röhlke. So habe z.B. das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg in 2004 zu Gunsten eines Mandanten Röhlkes dem Europarecht den Vorrang vor dem Gläubigerschutz gegeben (AZ: 215 C 18/04). Für die Anleger würden sich bei einer Entscheidung des EuGH gegen die überkommene deutsche Lehre neue Möglichkeiten ergeben: “Für viele Anleger stellt sich bei fehlgeschlagenen Fondsanlagen die Frage, wer verklagt werden soll. Wegen der fehlerhaften Gesellschaft wandte man sich zumeist an die Vermittler der Beteiligungen, die nicht durch die Lehre der fehlerhaften Gesellschaft geschützt waren. Diese sind aber meist wirtschaftlich nicht zu
Schadensersatzzahlungen in der Lage. In Haustür-Fällen könnte nach einer positiven Entscheidung des BGH nun ein Anspruch direkt gegen die Fondsgesellschaft bestehen. Voraussetzung ist aber stets, das der Anleger nicht oder fehlerhaft über ein Haustür-Widerrufsrecht belehrt wurde.“
Eine Berufung auf fehlerhafte Widerrufsbelehrungen kann insbesondere Anlegern helfen, die Ratensparverträge zu bedienen haben. Hier wurden bereits die Belehrungen einiger Anbieter, z.B. der Deutsche Beamtenvorsorge Immobilienholding AG & Co. 2. Deutschlandfonds KG (seit kurzem DFO GmbH & Co. Deutschlandfonds KG) oder SW Immo-Fonds 2051 GmbH & Co. KG von Gerichten für fehlerhaft befunden.
Anleger sollten sich hier von Spezialisten beraten lassen, da viele Belehrungen Fehler aufweisen. „Die gesetzlichen Anforderungen an solche Belehrungen sind in den letzten Jahren so oft geändert worden, das selbst das Bundesjustizministerium nach Ansicht des LG Halle in die offizielle Musterbelehrung Fehler eingebaut hat“, so Röhlke.